Obstacle Course Racing – Eins mit sich selbst und den Elementen

Mittlerweile regnet es seit drei Stunden ununterbrochen. Es ist, als hätte der Himmel sämtliche Schleusen geöffnet. Obwohl es erst gegen Mittag sein kann ist es düster als würde sich der Tag gerade verabschieden um der anbrechenden Nacht Platz zu machen. Jeder Schritt fällt mir auf dem durchgeweichten, matschigen Boden schwer, denn meine Schuhe sind ringsherum mit festem, schwerem und klebrigem Schlamm umrahmt.

Ein flüssiges Laufen ist kaum mehr möglich, aber ich versuche meinen Rhythmus beizubehalten, denn ich habe nur noch wenige Kilometer vor mir und Gehen würde Auskühlen bedeuten. Ich zähle die Schritte, wuchte mich über eine der zahlreichen Holzwände und kann es schließlich sehen. Die Sprungschanze! Mein Unterbewusstsein hatte es mir dauerhaft während des nun bereits über drei Stunden andauernden Rennens immer wieder gesagt, aber die Hoffnung kämpfte dagegen an. Vergeblich. Ich sehe eine Traube von OCR Athleten, wie sie sich in einer Reihe langsamen und quälenden Schrittes auf der Skischanze nach oben kämpfen. Auf dem Rücken einen etwa 30 Kilogramm schweren Sandsack, die Kräfte auf den letzten 20 Kilometern längst verbraucht, nur noch vom Willen getrieben.

Es ist wie im echten Leben. Ich nehme meinen Sandsack auf die Schultern und auch ich muss dieses Hindernis überwinden. Viele hundert Meter nach oben, danach wieder runter, den Sandsack ablegen und dem Ziel entgegenlaufen. Ich versuche meine schweren Muskeln mit mentalen Tricks abzulenken, versuche mein linkes Bein möglichst gestreckt zu lassen, damit die Wade nicht erneut krampft. Das läuft alles nicht mehr rund, aber ich setze einen Schritt vor den anderen. Es ist so steil, dass ich das Gefühl habe, ständig Treppen zu steigen. Nur eben mit einem 30 Kilogramm schweren Sandsack auf den Schultern. Vor mir lassen Athleten ihre Sandsäcke herunterfallen und gönnen sich eine Ruhepause. Doch ich will das vermeiden, denn das Aufheben des Gewichtes kostet Kraft, viel Kraft. Ich weiß nicht, ob ich diese Kraft noch aufbringen könnte. Der Regen prasselt weiter auf uns ein und ich rutsche immer wieder auf der nassen, mit einem Netz ausgelegten Skisprungschanze aus, fange mich wieder und trotte langsam weiter. Noch wenige Meter, dann bin ich oben und muss nur noch den Weg nach unten meistern. Dann kann ich ihn endlich ablegen, diesen ungeliebten, mit Wasser durchtränkten Sandsack!

Doch auch der Abstieg tut weh. Die Knie und Oberschenkel müssen mein eigenes und das Zusatzgewicht gegen die nach unten ziehende Schwerkraft verteidigen und kämpfen wacker. Schritt für Schritt nach unten und irgendwann darf ich den Sack fallen lassen. Endlich geschafft, endlich die Schanze geschafft!

Die letzten zwei Kilometer muss ich noch drei weitere Hindernisse überwinden, aber die sind reine Formsache. Ich springe über brennende Holzscheite und bin endlich im Ziel! Ich nehme meine Medaille entgegen und muss meine Freudentränen unterdrücken. Meine beruflichen Sorgen sind ganz weit weg! Sie scheinen auf der Strecke verloren gegangen zu sein, auf der Strecke meines vierzigsten Obstacle Course Races. So denke ich bei mir und verliere den Kampf gegen die Tränen!

Obstacle Course Racing – Eine kurze Vorstellung

Vor bereits über 30 Jahren fand im englischen Wolverhampton mit dem „Tough Guy“ das erste, moderne Obstacle Course Race (im deutschsprachigen Raum „Extrem Hindernislauf“) statt.

Die Läufer mussten dabei eine Strecke von ca. 15 Kilometern, gespickt mit über 50 natürlichen und künstlichen Hindernissen bewältigen. Zusätzlich mussten die zahlreichen, halstiefen Wassergräben durchquert, Anstiege bewältigt und gegen die winterliche Kälte des Februars angekämpft werden.

Zahlreiche Fernsehstationen weltweit zeigten unterkühlte Menschen die ihre letzten Kräfte aufbrachten um stolz im Ziel ihre Medaillen entgegen zu nehmen.

Der Tough Guy hat auch heute noch viele Anhänger, aber aus einem reinen, quälenden Schlammlauf entwickelte sich eine Sportart die jedes Jahr mehr und mehr Anhänger gewinnt. Obstacle Course Racing (OCR) findet mittlerweile zu allen Jahreszeiten, in nahezu allen Streckenlängen und in nahezu jedem Land der Welt statt. Längst werden Welt- und Europameisterschaften veranstaltet und die Sportart hat die Ecke der „Sportart für Verrückte“ längst verlassen und genießt mittlerweile aufgrund der großen Vielfalt aus Strecke und Hindernissen und der austrainierten Athleten einen sehr guten Ruf.

Derzeit bildet sich eine echte Profiszene heraus die nach einem individuellen OCR Trainingsplan, die Medienhäuser haben die Sportart für sich entdeckt und es soll sogar schon eine Bewerbung zur Aufnahme in das Portfolio der olympischen Sportarten geben.

OCR ist eine Sportart bei der ihr eine vorher mehr oder weniger fest definierte Streckenlänge möglichst schnell vom Start bis ins Ziel laufen müsst. Doch die Laufstrecke ist nicht auf der Bahn oder der Straße, sondern auf unbefestigten Wegen, führt über Berge, durch Flüsse und Seen, durch Schlamm und muss laufend, kriechend, springend, schwimmend oder auch hangelnd absolviert werden.

Zu den natürlichen Hindernissen werden dem Athleten von den Veranstaltern künstliche Hindernisse in den Weg gestellt. Dies können Seile zum Hochklettern, Gewichte zum Schleppen, Holzwände zum Überwinden, Stacheldraht zum unten drunter robben und Hangelhindernisse sein. Und dies ist nur eine beispielhafte Auflistung. Die Hangelhindernisse werden als sog. „technische Hindernisse“ gesehen und besonders oft trainiert, da sie eine entscheidende Rolle spielen. Die Herausforderung für die Athleten steigt von Jahr zu Jahr und viele Veranstalter nehmen sich bekannte TV-Formate zum Vorbild um Hindernisse nachzubauen.

Das Ziel für die Spitzenathleten das möglichst schnelle bewältigen des Parcours um sich eine der hart umkämpften Podestplätze zu sichern. Doch die meisten OCR Athleten wollen nur den Kampf gegen sich selbst, die Hindernisse und die Elemente gewinnen. Da geht es um ein erfolgreiches und gesundes Ankommen im Ziel und bei vielen OCR Rennen ist auch gegenseitiges Helfen erlaubt und sogar erwünscht. Es geht um das gemeinsame Erlebnis, um Kameradschaft, um Kooperation unterschiedlichster Menschen die sich vorher noch nicht kannten.

OCR ist Sport, Spitzensport aber vor allem Gemeinschaft!

Die mentale Herausforderung beim OCR

Es gibt wohl wenige Sportarten bei denen die Mentalität des Sportler eine so große Rolle spielt wie beim Obstacle Course Racing. Hier wird der Erfolg zwischen den Ohren gemacht. In allen Sportarten, vor allem den Ausdauersportarten, muss der Athlet seine Erschöpfung und Müdigkeit überwinden um sein Ziel zu erreichen.

Im OCR ist dies ganz genauso. Gerade auf den Mittel- und Langdistanzen muss der Sportler zweistellige Kilometerzahlen an Laufstrecke überwinden, ständig unterbrochen durch natürliche und künstliche Hindernisse. Und jedes einzelne Hindernis bringt eine besondere mentale Herausforderung mit sich. Das kann beispielsweise die Überwindung von Höhenangst sein, die Angst vor engen Röhren, steile und anstrengende Anstiege, kaltes und tiefes Wasser, Schnee, Wind, Hitze aber auch scheinbar kaum überwindbare, künstliche Hindernisse.

Der Athlet muss Lösungen finden und diese mit Erfindungsreichtum, Fitness und einer positiven Einstellung umsetzen. Dies birgt eine große Herausforderung für die mentale Stärke, fördert den Athleten jedoch in seiner persönlichen Entwicklung.

Reset durch den Mix aus Anstrengung und Leidenschaft

Ich erlebe seit Jahren die positiven Auswirkungen von OCR Rennen und das Training und möchte diese nichtmehr missen. Natürlich ist das abwechslungsreiche Training gesund, denn ein OCR Athlet muss seine Ausdauer, Kraft, Griffkraft, Koordination und Balance trainieren. Dies erfordert ein durch die große Abwechslung gesundes Training was einen schönen Körper und eine hohe Leistungsfähigkeit mit sich bringt.

Doch am meisten schätze ich den beinahe schon meditativen Effekt der Hindernisläufe. Man ist Eins mit der Natur, spürt den Regen, die Hitze, die Kälte und Nässe. Aber es fühlt sich natürlich an und man hat das Gefühl zur Natur dazu zu gehören. Man nimmt die Anstrengung, den Schmerz und die eigene Kraft so intensiv wahr, dass alle Sorgen schnell vergessen sind.

Die Konzentration auf die Aufgabe lässt ein Abschweifen der Gedanken kaum zu, man ist im „Flow“. Das Ergebnis ist ein kurzer, harter aber sehr wirkungsvoller „Kurzurlaub“ der für die anstehenden Aufgaben Kraft und Selbstsicherheit gibt. Man beweist sich selbst, dass es kaum unüberwindbare Hindernisse gibt und die erworbene Gewissheit schafft Selbstvertrauen. Diese Erfahrung habe ich schon sehr oft gemacht und auch andere OCR Athleten berichten Ähnliches.

Tipps für Deinen ersten Hindernislauf

Wenn ich Dir meine Sportart etwas schmackhaft machen konnte, dann bin ich dafür dankbar. Hab keine Angst vor der Herausforderung. Es gibt unterschiedliche Distanzen und ich rate Dir, Dich für Deinen ersten Hindernislauf bei einer Kurzdistanz anzumelden und gleich mit dem Training zu beginnen.

Der erste Schritt ist die Anmeldung. Wenn Du das erledigt hast, dann sucht Dein Gehirn Lösungen. Du beschäftigst Dich mit Training, Ausrüstung und allem was für ein erfolgreiches Abschneiden notwendig erscheint.

Vertrau Dir selbst! Du findest die für dich richtige Lösung. Such Dir einen Trainingspartner, denn zu zweit fällt es leichter die Motivation hoch zu halten und im Rennen könnt ihr euch unterstützen.

Schließ Dich einer OCR Trainingsgruppe an oder such Dir einen Trainer falls Du unsicher bist. Aber lass Dich auf keinen Fall aufhalten! Niemals!

Wenn ich Dich irgendwann auf der Strecke sehe habe ich mit diesem Artikel alles richtig gemacht!

Dein Uwe

Zum Autor

Hallo liebe Wellnissimo-Leser,

ich bin Uwe Kauntz, Sportler, Trainer und dankbar OCR hier vorstellen zu dürfen. Seit vielen Jahren ist Obstacle Course Racing meine große Leidenschaft. Ich durfte bisher bereits über 100 Wettkämpfe genießen, viele Orte und Menschen weltweit kennen lernen und unvergessliche Momente erleben.

Ich wünsche mir, diesen Sport noch viele Jahre ausüben zu dürfen und bin für das Vertrauen der vielen OCR Athleten die ich als zertifizierter Coach mit meinen Trainings und OCR Trainingsplänen unterstützen darf sehr dankbar.

Sportliche Grüße,
Uwe (rockyourgoal.de)

Bildquelle: Uwe Kauntz

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